Der Wind wird immer stärker. Die Pinne lässt sich fast nicht mehr halten. Höchste Zeit, die Rollreffgenua ein Stück wegzurollen.
Der Zug auf der Leine des Fockrollers ist so stark, dass nichts mehr geht. Also Fockschot fieren und während des Einrollens kurz killen lassen. Jawohl, so geht’s. Etwa einen Meter weit. Dann ist Schluss. Die Leine hat sich um die Refftrommel herum total verheddert. Das Vorstag dreht sich weder links noch rechts herum. Von der Genua stehen immer noch zwei Drittel. Das ist viel zu viel für diesen Wind. Keine Chance bei diesen Verhältnissen, die Reffleine zu klarieren. Also muss das Großsegel geborgen werden. Das geht immer. Mit geschrickten Schoten rauscht man mit voller Rumpfgeschwindigkeit über den kochenden See. Langsam baut sich auch eine ziemlich hackige Welle auf. Jedes Mal, wenn diese das Boot abbremst, biegt sich der Mast in der Mitte nach hinten durch. Nach der nächsten Böe bleibt er so stehen, um kurz darauf über der Saling ganz abzuknicken.
Solche oder ähnliche Szenen haben sich nach den Untersuchungen der Versicherungen während der diesjährigen „Rund um“ abgespielt. Falsch gehandhabte Rollreffanlagen, Unkenntnis der statischen Zusammenhänge in einem Rigg und falsch konstruierte Riggs waren offensichtlich ausschlaggebend für die meisten Schäden. Die Masten wurden durch immense Stauchkräfte beschädigt. Diese Thematik beschäftigte in der Vergangenheit eigentlich eher die Regattafreaks, die immer an der Materialgrenze segeln und in deren Riggs keine Sicherheitsreserven eingebaut sind. Diese Segler mussten sich daher schon immer intensiv mit den Tücken flexibler Riggs auseinander setzen.
Die Konstrukteure moderner Serienyachten nehmen oft Anleihen im Regattasport. Je besser das Rigg trimmbar ist, umso mehr Wissen erfordert es allerdings bei der Handhabung. Genau das ist aber bei dieser Zielgruppe oft nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Noch schlimmer ist, dass aus Vereinfachungsgründen statisch wichtige Einrichtungen einfach weggelassen werden. Ein 7 / 8-Rigg ohne Backstagen oder ein Topprigg, bei dem das Babystag der Liegewiese auf dem Vorschiff geopfert wurde, verrichtet seine Dienste bei schönem Wetter sicherlich zuverlässig. In Grenzsituationen treten konstruktive Schwachstellen und mangelnde statische Kenntnisse jedoch gnadenlos zutage.
Ein verstagter Mast darf niemals, egal in welche Richtung, unkontrolliert biegen und den Stauchkräften nachgeben können, sonst gibt’s Bruch. Da bei den meisten Riggs das Großsegel den Mast wesentlich stabilisiert, muss die Grundregel gelten, dass dieses Segel als erstes gesetzt und als letztes wieder geborgen wird. Falls aus irgendeinem Grund doch nur das Vorsegel gesetzt werden soll, muss der Mast anderweitig stabilisiert werden. Viele Boote sind heute mit einer Vorsegelrollanlage ausgerüstet. Da gibt es nichts Einfacheres, als vor einem Hack die Genua wegzurollen und zwar ganz. Das Großsegel wird, sofern es ausreichend gerefft werden kann, immer sicherer zu handhaben sein als ein Vorsegel. Der in letzter Zeit immer mehr zu beobachtende Trend, dass verschiedene Bootseigner nur mit der Rollreffgenua rumdümpeln, zeigt, dass ein großer Teil der Bootseigner nicht begriffen hat, wie ein Segelboot funktioniert.
Gefährlicher Stauchdruck
Was ist nun dieser gefürchtete Stauchdruck? Stell Dir sich einen dünnen, geraden Holzstab vor. Stell diesen auf den Boden und drücke auf dessen oberes Ende. Der Stab wird Ihrem Druck zunächst standhalten. Erhöhe die Kraft, wird er irgendwann nach einer Seite wegbiegen und nur noch wenig Widerstand entgegensetzen. Du kannst ihn nun mühelos durchbrechen. Fixiere diesen aber in seiner Mitte, so dass er nicht mehr biegen kann, wird er wesentlich mehr Druck aufnehmen können. Diese Kraft, die Du mit Deinen Finger auf den Stab ausübst, nennt man Stauchdruck.
Diese Kraft ist für viele Mastbrüche verantwortlich. Auch in dem vorigen Beispiel. Als das Großsegel geborgen wurde, fehlte dessen stabilisierende Wirkung auf das Mastprofil. In der hackigen Welle fing dieses an zu schwingen. Der Stauchdruck, den die Genua über das Vorstag auf das Rohr ausübte, konnte dieses dann abknicken.
Stauchbelastungen treten an jedem Mast auf, sobald die Wanten und Stagen gespannt werden, da diese ja in einem mehr oder wenigen spitzen Winkel nach unten zum Rumpf laufen. Das lässt sich nicht verhindern. Die Lasten, die die Segel durch ihren Winddruck in das Rigg einbringen, können vom Konstrukteur noch relativ einfach berechnet werden. Was nicht berechnet werden kann, sind die zusätzlichen dynamischen Kräfte, die durch den Wellengang erzeugt werden und den Mast aufschwingen lassen. Daher muss das Ausweichen des Rohrs unter allen Umständen verhindert werden.
Problemloses Topprigg
Aufgrund seiner unproblematischen Handhabung ist das Topprigg weit verbreitet und eigentlich das Optimum, wenn ein einfaches, unproblematisches und stabiles Rigg gefordert ist. Der Name kommt daher, weil das Vorstag am Masttopp angreift. Dessen Kräfte werden vom Achterstag, den Oberwanten und dem Mast aufgefangen und in den Rumpf eingeleitet. In der Mitte wird der Mast meist von zwei Unterwantenpaaren gehalten, die in einem Winkel von etwa fünf Grad nach vorn und achtern verlaufen.
Um die doch sehr eingeschränkte Trimmbarkeit zu umgehen, wurde in den 70er-Jahren damit begonnen, auf den IOR-Booten nur ein Unterwantenpaar zu montieren, das wie die Oberwanten parallel zum Mast nach unten verläuft. Dadurch kann der Mast in der Mitte gebogen und das Großsegelprofil abgeflacht werden. Um die Längsbiegung nach vorn einzustellen, ist ein Babystag geriggt. Dieser Draht läuft vom Vordeck aus etwa zur Mastmitte. Er ist während des Segelns in seiner Länge verstellbar. Oft wird dazu der Spibaum-Toppnant verwendet.
Der Gegenzug kommt von Backstagen, die allerdings nur bei viel Wind und Welle geriggt werden und das Aufschaukeln des Mastes verhindern. Ein solches Rigg hält auch ohne Großsegel. Ein Mast, der auf dem Kiel steht, ist ebenfalls stabiler als ein Mast, der auf dem Kajütdach steht, da es sich physikalisch um einen eingespannten Träger handelt, der unter Druck eine andere Biegecharakteristik hat als ein freistehender Träger.
Leistungsfähiges 7/8-Rigg
7/8-Riggs sind nicht neu. Der Unterschied zum Topprigg ist, dass das Vorstag tiefer ansetzt und der Mast durch den Achterliekzug des Großsegels gebogen wird. Der Urtyp dieses Riggs ist immer noch das Nonplusultra.
Die Wanten stehen in Längsschiffrichtung auf Masthöhe und nehmen daher nur seitliche Kräfte auf. Sie verhalten sich neutral auf die Längsbiegung. Der Zug des Vorstags wird von den Backstagen aufgenommen. Hier entsteht ein neutraler „Knotenpunkt“ in der Mastkurve. Da der Masttopp vom Großsegel nach hinten gezogen wird, wandert die Saling nach vorn. Dieser Weg wird von den Unterbackstagen begrenzt. Ein solches Rigg kann fast beliebig gebogen und getrimmt werden. Es stellt ein absolut stabiles statisches System dar. Bis das Großsegel gerefft wird. Wenn dieses nach unten wandert, fehlt dessen Biegekomponente, die Ausgangspunkt aller statischen Überlegungen ist.
Wir haben es jetzt im Prinzip mit einem Topprigg zu tun. Wenn noch weiter gerefft wird, zieht das Großsegel den Mast unter dem Vorstagansatz sogar nach hinten. In diese Richtung wird er nicht gehalten. Durch den Stauchdruck vom Vorsegel kann er weiter durchbiegen und brechen. Das wird durch kräftiges Anziehen des Achterstags, gegen den Widerstand der Unterbackstagen, verhindert.
Hilfreich ist es auch, wenn die Großschot am Baum einige Zentimeter hinter dem Traveller angeschlagen ist. Dadurch drückt dieser auch bei gerefftem Segel den Mast immer etwas nach vorn in die richtige Biegung, auch wenn der Baumniederholer nicht durchgesetzt ist.
Durchgehende Masten, die auf dem Kiel stehen, sind zwar nicht so flexibel zu trimmen, können aber in der Decksöffnung mit etwas Vorbiegung verkeilt werden. Bei aufkommendem Stauchdruck wird dieser Mast dann immer in die Richtung biegen, wo er gestützt werden kann. Ein ähnlicher Effekt ergibt sich durch das Anschrägen des Mastfußes. Wenn der Mast nur auf der Hinterkante in der Spur steht, wird er bei Druck von oben in die richtige Richtung biegen.
7/8-Rigg mit gepfeilten Salings
Diese Riggform wurde ursprünglich nur auf Jollen gefahren. Im Lauf der Zeit kamen aber immer mehr Kielboote auf den Markt, die 7/8-getakelt waren und der Verzicht auf Backstagen als wesentliche Erleichterung angepriesen wurde. Das verlangt aber in vielen Fällen nach mehr oder weniger guten Kompromissen. Beim H-Boot funktioniert’s beispielsweise gut. Dieses wird aber auch nicht gerefft und hat eine relativ kleine Fock. Das statische Prinzip ist, dass die Oberwanten nicht nur die seitlichen Vorstagkräfte aufnehmen, sondern auch die Aufgabe der Backstagen erledigen. Dafür sind die Püttings nach achtern versetzt.
Die Saling zeigt nach hinten. Diese drückt somit den Mast in der Mitte nach vorn, gegen den Zug der Unterwanten, die ebenfalls nach achtern auf das Deck laufen. Bei einer Jolle werden die Unterwanten entweder weggelassen und die vorliche Biegung über einen Mastkontroller begrenzt oder sie setzen auf Lümmelbeschlagshöhe am Mast an. Wenn dieses Rigg durch das Vorstag gespannt wird, bleibt es stabil stehen.
Soll so ein Rigg auf einem Kielboot wesentliche Vorteile gegenüber dem Topprigg liefern, muss zumindest die Spannung der Unterwanten und vor allem die des Vorstags schnell verstellt und an die jeweiligen Verhältnisse angepasst werden können. Sonst ist eine solche Konstruktion eigentlich nur mit Nachteilen behaftet, da die Kräfte auf den Oberwanten enorm groß sind und somit Rumpf und Rigg unnötig belastet werden.
Ein weiterer Nachteil ist die Tatsache, dass sich bei Mastbiegung der Abstand zwischen Oberwantansatz und Pütting verkürzt. Die Wantenspannung ist also bei geradem Mast am höchsten und verringert sich bei Biegung.
Dadurch neigt dieses Rigg in den Wellen zum Aufschwingen. Mit einem schweren Rollreffprofil ist es dann fast nicht mehr möglich, das Vorstag bei Welle an der Kreuz einigermaßen ruhig zu halten. Bei einer solchen Takelung darf das Großsegel nicht komplett geborgen werden, ohne ernsthafte Schäden am Mast oder auch am Rumpf zu riskieren. Oft sind die Rümpfe relativ weich oder die Püttingunterzüge gehen nicht in direkter Linie in den Rumpf, so dass das Deck durch enorme Kräfte belastet wird. Ein weicher Rumpf, der den Kräften der Püttings nachgibt, verstärkt das Aufschwingen des Riggs.
Seitliche Steifigkeit
Mastprofile haben in Längsrichtung den größeren Querschnitt als in seitliche Richtung. Deshalb müssen sie vor allem in dieser Achse stabilisiert werden. Ein seitliches „S“ im Mast bewirkt ebenfalls, dass bei Stauchung Lose auf die Wanten kommt. Unkalkulierbare dynamische Kräfte sind die Folge. Aus einem am Limit dimensionierten Profil müssen daher alle seitlichen Biegemomente herausgehalten werden. Diese werden, insbesondere auf einem raumen Kurs, vom Großbaum verursacht.
Schub des Baumniederholers
Der Baumniederholer zieht nicht nur den Baum nach unten, sondern drückt ihn auch gegen den Mast. Bei hohem Stauchdruck auf dem Profil reicht schon eine geringe Kraft aus, um den Mast aus seiner senkrechten Achse zu drücken und abzuknicken. Steht der Mast auf dem Kiel, wird er vom Deck gehalten und ist daher relativ unempfindlich gegen den Schub des Baumes. Steht dieser aber auf dem Deck, muss sich die Werft etwas einfallen lassen. Da dies viele Hersteller vergessen, ist oft der Eigner gefordert. Soll die „Palme“ nicht total überdimensioniert werden, kann man den unteren Bereich bis zur Saling verstärken, indem ein passendes Rohr eingeschoben und vernietet oder verklebt wird.
Eine bessere Lösung ist die Montage von zusätzlichen Unterwanten auf Großbaumhöhe. Diese fangen die seitlichen Kräfte auf und leiten sie über die Püttings in den Rumpf. Eine andere Ursache für das „S“ im Mast kommt nur bei 7/8-Riggs vor. Die seitliche Biegung des Masttopps setzt sich unter dem Wantansatz fort. Das kann man durch ein Jumpstag sehr effektiv verhindern. Hier werden die Biegekräfte entweder in die leewärtigen Unterwanten oder in die Luvoberwanten eingeleitet. Die letztere Version hat einige Vorteile.
Eine andere Möglichkeit sind Zwischenwanten. Diese laufen von der Salingnock aus etwa zur Mitte der Strecke „Saling-Vorstag“. Da die leeseitige Zwischenwant hier auf Spannung steht, muss diese in Versuchen ganz exakt justiert werden, damit sie den entsprechenden Mastbereich nicht nach Lee zieht. Hier kann eine zu hohe Spannung zum Mastbruch führen. Eine weitere Möglichkeit, das Rohr gerade zu halten, ist das so genannte Bergström-Rigg. Dabei wird das Prinzip der Unterwanten umgekehrt. Es verläuft ein Drahtpaar vom Lümmelbeschlag zur Salingnock. Allerdings gilt auch hier, dass die Spannung der einzelnen Komponenten ganz exakt aufeinander abgestimmt sein muss.
Wie viel Spannung sollen die Wanten denn nun haben? Das differiert von Boot zu Boot. Generell gilt, dass der Mast in Querschiffsrichtung absolut gerade bleiben muss. Ein unverstagtes Toppteil darf sich in heftigen Böen nach Lee biegen und das Achterliek etwas öffnen. Wenn die Leewanten so lose sind, dass sie rumschlackern, ist auf den meisten Booten etwas faul.