Das war ein Paukenschlag, mit dem niemand gerechnet hat. Die Richter kassierten das Verbot des Kitesurfens im Wattenmeer.
Zwei Kitesurfer hatten gegen das Verbot geklagt und bekommen nun in der letzten Instanz Recht. Der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 11. Dezember 2020 der Klage stattgegeben und antragsgemäß festgestellt, dass die Kläger auch ohne vorherige Befreiung von den Verboten des Niedersächsischen Gesetzes über den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ (NWattNPG) im Küstengewässer des Nationalparks kitesurfen dürfen (Az.: 4 LC 291/17).
Bislang wurde das Kitesurfen in der Ruhe- und Zwischenzone des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ von der Nationalparkverwaltung nur in eigens ausgewiesenen Kitesurfzonen und nur in bestimmten Zeitfenstern für zulässig gehalten.
Die Nationalparkverwaltung ging bislang davon aus, dass das Kitesurfen der Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 5 NWattNPG unterliegt, die es u.a. verbietet, Drachen, auch vom Fahrzeug aus, in der Ruhezone des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ fliegen zu lassen.
Die Kläger, die das Kitesurfen im Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ in den Kitesurfzonen hobbymäßig betreiben, wollten dies nicht hinnehmen und auch außerhalb der Kitesurfzonen ganzjährig ihrem Hobby im Küstengewässer des Nationalparks nachgehen.
In erster Instanz hatte eine entsprechende Klage vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg (Az.: 5 A 726/15) keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass das Befahren von Bundeswasserstraßen wie dem Küstengewässer im Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ zwar nur bundesgesetzlich eingeschränkt werden dürfe.
Die landesgesetzliche Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 5 NWattNPG stelle jedoch keine Befahrensregelung, sondern ein naturschutzrechtliches Verbot dar, das das Kitesurfen nur reflexartig erfasse, weil es sich nur gegen das mit dem Kitesurfen verbundene Drachenfliegenlassen richte.
Auf die Berufung der Kläger hat der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und festgestellt, dass die Kläger auch ohne vorherige Befreiung von den Verboten des Gesetzes über den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ im Küstengewässer des Nationalparks kitesurfen dürfen, da das in § 6 Abs. 2 Nr. 5 NWattNPG enthaltene Verbot Kitesurfen nicht erfasse.
Beim Kitesurfen im Küstengewässer des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ handele es sich um das Befahren einer Bundeswasserstraße mit einem Wasserfahrzeug. Die Kitesurfausrüstung bestehend aus Board und Lenkdrache sei als einheitliches Wasserfahrzeug anzusehen.
Bundeswasserstraßen seien zum Befahren mit Wasserfahrzeugen gewidmet. Das Befahren der Bundeswasserstraßen mit Wasserfahrzeugen in Naturschutzgebieten und Nationalparken dürfe nach den Vorgaben des Bundeswasserstraßengesetzes nur durch eine Bundes-Rechtsverordnung, für deren Erlass das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zuständig sei, eingeschränkt oder untersagt werden.
Diese „Verordnung über das Befahren der Bundeswasserstraßen in Nationalparken im Bereich der Nordsee“ enthalte jedoch gegenwärtig kein Verbot des Kitesurfens. Der Landesgesetzgeber sei angesichts dieser abschließenden Regelung auf Bundesebene nicht befugt, Befahrensregelungen für Bundeswasserstraßen in Naturschutzgebieten und Nationalparken zu treffen.
Die landesrechtliche Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 5 NWattNPG müsse entgegen der bisherigen Verwaltungspraxis verfassungs- bzw. bundesrechtskonform so ausgelegt werden, dass sie sich nicht gegen das Befahren des Küstengewässers im Nationalpark mit Wasserfahrzeugen, wozu auch Kitesurfen gehöre, richte.
Für ein solches Verständnis spreche insbesondere, dass der Landesgesetzgeber in § 16 Satz 1 Nr. 7 NWattNPG klargestellt habe, dass das Befahren der Bundeswasserstraßen mit Wasserfahrzeugen nach Maßgabe des Bundeswasserstraßenrechts von den Verboten des Gesetzes über den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ freigestellt sei.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat der Senat nicht zugelassen. Das Land Niedersachsen hat jedoch die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einzulegen.